Der Weg des Schwertes

Kapitel 05 – Einer von vielen?

“Meine Frau Shizuka war einst Kendolehrerin in Tokyo. In Ihrem Verein, um genau zu sein. Ich konnte sie jedoch dazu bewegen, sich hier in Osaka eine Stelle zu suchen, denn es zeigte sich, dass mein Sohn ein wenig mehr Kontrolle brauchte. Kontrolle, die ich nicht länger gewährleisten konnte, als ich befördert wurde.” “Ihr Sohn? Der Junge, das war Shizukas Sohn, oder?” “Ganz richtig.” “So kreuzen sich die Wege…” Schweigen trat ein und wieder richtete der ehemalige Kendomeister seine Konzentration auf das Geschehen außerhalb des Wagens. Toyama räusperte sich. “Das erklärt noch nicht, was sie zu dem Bankraub bewogen hat.” “Der Bankraub, ja… Nunja, ich hab eine kleine Tochter. Als sie mit dem Fahrrad von der Schule nach Hause fuhr, wurde sie von einem LKW erfasst und musste ins Krankenhaus. Es steht nicht sehr gut um sie. Seit man mir die Berechtigung als Kendotrainer entzog, habe ich mich von einem Minijob zum nächsten gehangelt, um eine Weiterbildung zu finanzieren. Da ich aber Schmerzensgeld an die beiden Familien zahlen musste, blieb nie viel Geld, dass ich zur Seite hätte legen können. Entsprechend kann ich auch nicht die Operation bezahlen, die meiner Tochter das Leben retten könnte.” “Soviel zu dem Bankraub und warum wollten sie nun meinen Sohn umbringen?” “Ich war verzweifelt! Ich kann die Operation nicht finanzieren und weiß nicht, wie lange meine Tochter noch leben wird. Ich entschloss mich Geld auf eine zugegebener Weise miese Art zu besorgen und da kommt mir so ein Junge Spund in die Quere und lässt sich durch nichts und wieder nichts davon abbringen, mich zu überführen.” “Ja, ich habe auch schon versucht, ihm so etwas abzugewöhnen. Aber da stößt man bei ihm auf taube Ohren…”

Während sich das Polizeiauto weiter zum Präsidium quälte, bewegte sich der Krankenwagen mit weitaus höherem Tempo durch die Straßen Osakas in die entgegengesetzte Richtung. Kazuha saß neben Heiji und hielt seine Hand. “Du, Kazu…?” Das Mädchen blickte auf. Die ganze Aufregung war ihr zuviel, langsam wurde sie müde. “Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.” “Welche Frage?” “Einer von vielen wäre…” Trotz seines Zustandes war die Anspannung zu spüren. Wieder wusste Kazuha nicht, was sie ihrem Freund darauf antworten sollte. Am liebsten wäre sie einfach umgekippt, im Erdboden versunken oder hätte die Frage am liebsten überhört. “Wie meinst du das?” Heiji antwortete nicht sofort. “Was bedeute ich – was bedeutet dir unsere Freundschaft.” Irgendwie hatte sie geahnt, dass diese Frage bald anstehen würde. Doch sie hatte immer gehofft, dass es an einem anderen Tag sein würde, warum musste es nun also gerade jetzt passieren? Gerade hier, wo sie ihm nicht ausweichen konnte, wo sie ihm nicht wehtun wollte, weil es ihm ohnehin schon schlecht ging?

“Schon gut, du musst nicht antworten.” Seufzend beugte sich Kazuha zu ihm hinunter. Er hatte die Augen geschlossen, doch die Enttäuschung konnte sie seinen Worten entnehmen. Sachte streichelte sie ihm mit einem Finger über die Wange. “Willst du nun eine Antwort oder nicht?” Heiji schlug die Augen auf und schaute sie direkt an. Kazuha wich seinem Blick nicht aus, irgendwie schien es nun auch egal zu sein, was er von ihr dachte. Jahrelang hatte sie versucht, ihm zu gefallen und hatte sich dabei oft genug lächerlich gemacht. Nun, da er sie direkt ansprach, schien das alles einfach albern gewesen zu sein und an dieser Stelle völlig fehl am Platz. Sie wusste nicht, wie sie es in Wort fasse sollte…

“Kazu?” “Mh?” Noch ehe sie weiter auf ihn eingehen konnte, spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter. Er war schwach wie ein Kind und es wäre ein leichtes gewesen, sich dagegen zu wehren, doch sie tat es nicht, sondern folgte Heijis Aufforderung. Als sich ihre Gesichter so nahe wahren, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten, hielt Kazuha inne. “Du kannst mich nicht mehr lange so zurückhalten.” “Zurückhalten?” Heiji antwortete nicht mit Worten sondern steigerte seine Anstrengung und zog Kazuha zu sich. Sacht und vorsichtig trafen sich ihre Lippen zu einem Kuss. Überrascht schloss Kazuha die Augen. Mit der linken Hand umschloss sie noch immer die Heijis, während sich die Finger ihrer Rechten nun einen Weg durch seine zerzausten und von Dreck verklebten Haare suchten. Einen Moment verharrten sie so und Kazuha wünschte, dieser Augenblick würde ewig anhalten, doch er tat es nicht. Nach kurzer Zeit entspannte sich Heijis Körper wieder. Seine Hand rutschte von ihrer Schulter und er beendete den Kuss. Er war schwach, zu schwach, wie Kazuha erkannte.

In diesem Augenblick kam der Krankenwagen zum Stillstand. Die Türen öffneten sich und Heiji wurde auf ein Krankenbett gehievt. Man brachte ihn zunächst auf die Intensivstation und wies Kazuha an, im Aufenthaltsraum zu warten. Man würde sie informieren, wenn es Neuigkeiten gäbe. Kaum hatte sie sich eine der Zeitschriften vom Tisch gesucht, um sich etwas abzulenken, trafen Ran und Shinichi im Krankenhaus ein.

“Hey, Kazu!” “Shinichi! Nicht so laut, das ist ein Krankenhaus. Die Leute wollen ihre Ruhe haben”, wies ihn seine Freundin zurecht. Danach wandte sie sich an ihre Freundin. “Wie geht es Heiji?” “Sie haben ihn auf die Intensivstation gebracht. Ich nehme an, sie werden ihn nun einmal richtig untersuchen und die Wunden desinfizieren.” “Hoffen wir mal, dass sie auf keine schlimmen Erkrankungen stoßen.” Shinichi sah besorgt den Gang hinunter. “Sie haben gesagt, sie informieren mich, sobald es etwas Neues gibt.” “Also willst du hier waten?” Shinichi hörte sich nicht sehr begeistert an. “Natürlich will sie hier warten. Ich würde ja auch auf dich warten, wenn es dir passiert wäre!” Ran sah leicht erbost zu Shinichi. “Aber die beiden sind doch gar nicht zusammen.” Sie verdrehte die Augen. Kazuha lächelte innerlich. Shinichi konnte ja nicht wissen, was im Krankenwagen zwischen ihr und Heiji vorgefallen war. So suchten sich auch Ran und Shinichi einen Platz und etwas zu lesen. Nach Reden war ihnen irgendwie nicht zu Mute.

Etwa zur gleichen Zeit wartete Shizuka Hattori zu Hause mit dem Abendbrot. Bisher hatte niemand die Zeit gefunden, sie zu informieren. Dass sich ihr Mann verspätete war ihr nichts neues, doch sie hatte keine Ahnung, wo sich Heiji schon wieder herumtrieb. Wie oft hatte sie ihm schon gesagt, er solle sich wenigstens melden, wenn es später wurde? Doch woher sollte sie wissen, dass ihr Sohn gar nicht in der Lage war, lange Telefongespräche zu führen? So wartete sie, wie auch die drei Freunde im Krankenhaus ohne zu wissen, was in all der Zeit vorgefallen war. Gut eine Stunde verging, bis Shizuka die Tür ins Schloss fallen hörte. Verärgert wie sie war, sprang sie auf und lief in den Flur. “Junger Mann! Was fällt dir überhaupt ein? Wie oft habe ich dir schon – Heizo?” Irritiert schaute sie zu ihrem Mann. Er ging an ihr vorbei und stellte seine Aktentasche in seinem Büro ab. “Zieh dir eine Jacke an.” “Was? Aber, das Essen. Ich warte hier schon eine halbe Ewigkeit und wo ist überhaupt Heiji?” “Das Essen muss warten. Nimm dir eine Jacke.” Ohne weitere Erklärungen zog er sich wieder seine Schuhe an und ging zum Auto. Shizuka zögerte nur einen Moment. Irgend etwas musste vorgefallen sein. Zügig griff sie nach ihrer Jacke, schlüpfte in ihre Schuhe und folgte ihrem Mann. “Sagst du mir nun endlich, was passiert ist?” “Er liegt im Krankenhaus.” “Was? Heiji?” Heizo nickte nur. Der Verkehr hatte sich mittlerweile glücklicherweise beruhigt und so dauerte es nicht lange, bis auch sie im Krankenhaus eintrafen.

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