Ein Guter Rat

Fasziniert von dem bunten und kontrastreichen Leben, dass sich mir vor dem Bahnhof erschloss, schritt ich die Promenade entlang. Ich beobachtete die Tauben, wie sie sich um Brotkrumen und Eiswaffelstückchen schlugen, die ihnen Touristen halbherzig zugeworfen hatten und versuchte, ihren Kampf in einem Bild einzufangen.

Verschiedene Klänge drangen an mein Ohr und ich entdeckte einen Gullideckel, der sich in seiner Gestalt von den anderen unterschied. Musik im Rythmus der Schritte seiner Passanten drang hervor. Oder waren es die Schritte, die sich seinem Takt anpassten? Lächelnd betrachtete ich diese außergewöhnliche Oase im Trubel der Menschen.

Die Promenade hinaufschreitend bot sich mir das gesamte Bild einer Großstadt. Geschäftsleute und Passanten drängten sich an den Geschäften vorbei. An Bettler, Straßenkünstler und -musiker. Manche verharrten, andere warfen ihnen verlegene Blicke zu und wieder andere ignorierten sie ganz.

“Ich brauche Kinderkleider.” verkündete ein Schild zu Füßen des Xylophonspielers, dessen Weihnachtslieder von den Wänden wiederhallten. “Kinderkleider” las ich noch einmal, als ich versuchte, unbemerkt Fotos all dieser Strudel im sonst so glatten Lauf der Gesellschaft zu machen. “Kinderkleider.” Ich ging weiter. In meinem Portmonaie war nur noch ein 20 EUR Schein. In den Buchladen wollte ich mit meiner Kamera um den Hals nicht gehen. “Kinderkleider.”

Ich betrat ein teureres Café. Hinter Glas verbargen sich die herlichsten Torten. “Können Sie mir den wechseln?” Ich zeigte ihr den Schein. Die Kassiererin lächelte verlegen und schüttelte den Kopf. “Wir haben nur so wenig, das brauchen wir selbst.” Daneben fand ich ein Geschäft, in dem zwei Männer in Anzügen begierig darauf warteten, einem potentiellen Kunden einen neuen Vertrag für ein Mobilfunkgerät verkaufen zu können. Ich trat ein. Erneut zeigte ich meinen Schein und stellte meine Bitte. “Nein, tut uns Leid, gerade nicht.”

Unsicher verließ ich den Laden. Durch die Schritte der Menschen um mich herum tönten noch immer die Weihnachtslieder. “Kinderkleider.” Auf einen letzten Versuch wollte ich es ankommen lassen und betrat ein kleines Kaffeegeschäft. Der herbe Geruch zog sich in meine Nase, als ich den kleinen Laden betrat. Zwei Männer standen an einem Tisch, hinter der Kasse fand ich niemanden. “Hinter dir,” warnte mich einer von ihnen und eine junge Frau trat an mir vorbei, zwei leere Tassen in der Hand. Zum dritten Mal zog ich meinen 20 EUR Schein heraus. “Können Sie mir den wechseln?” “Natürlich.”, antwortete Sie und hatte behände zwei 5 EUR Scheine auf die Theke gelegt. “Am Besten so, dass ich ein 1 EUR Stück dabei habe. Sie gab mir die zwei Scheine und den Rest in Form von Münzen heraus.

“Seh’n Sie, das geht alles.”, meinte der Mann, der mich schon zuvor angesprochen hatte, sodass die Inhaberin ihren Laden betreten konnte. Ich erzählte ihm, dass es in den anderen Läden nicht geklappt hätte. “Wirklich? Na zur Not wären Sie zur Sparkasse gegangen und dort hinten ist auch eine Volksbank.” “Das weiß ich nicht, ich kenne mich hier nicht aus. Ich bin nicht von hier.” Erkenntnis breitete sich auf seinem Gesicht aus. “Woher kommen Sie denn?” “Aus Wernigerode. Das liegt im Harz.” “Da sind Sie aber ein Stück gefahren. Machen Sie Urlaub hier?” “Nein, nur ein Bewerbungsgespräch.”

Seine Gesichtszüge veränderten sich erneut. “Und wie ist es gelaufen?” “Ich weiß nicht, man wird sich bei mir melden.” Mit seiner Hand formte er eine Faust, mir die Daumen drückend. “Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.”, sagte er und begann zu erzählen.

“Wissen Sie, ich bin 37, Single und frisch gekündigt. Heute habe ich mir dann vorgenommen, mich arbeitslos zu melden. Ich bin also zum Arbeitsamt gegangen. Dort habe ich einen Aushang gesehen. Zeitarbeit – natürlich. Doch nur 800 EUR wollen sie mir zahlen! In meinem Alter ist das nicht mehr so leicht. Ich melde jetzt erstmal alles an. Arbeitslosengeld, Wohngeld. Aber wissen Sie was?”

Ermunternd lächelte ich ihm zu und wartete, bis er weiter erzählte. “Auf dem Weg zum Amt habe ich einen Behinderten gesehen. Er trug eine Protese am linken Bein, das habe ich gesehen. Davor habe ich Respekt und ich gab ihm Geld. Ein wenig später sah ich eine alte Frau. Auch ihr gab ich etwas. Da schaute sie mich bittend an und ich legte noch etwas hinzu.” Dann leuchteten seine Augen auf und er zeigte mir ein silbernes Kettchen an seinem Handgelenk. “Das sollte 20 EUR kosten, aber er hat es mir für 15 verkauft.” Ich begutachtete das Armband und bezweifelte, dass es überhaupt die 15 EUR Wert war. Doch ich erinnerte mich an die Straßenhändler und sagte nichts. Ich spürte, dass er sich über die Geste, die man ihm hatte zukommen lassen, sehr freute und roch den süßlichen Duft von Alkohol in seinem Atem.

“Wer Gutes tut, bekommt Gutes zurück.”, entgegnete ich ihm stattdessen. “Ja.” Er hielt inne. “Wissen Sie, ich will Ihnen etwas mit auf den Weg geben. Eine Faustregel, die ich gelernt habe.” Ich nickte und wartete geduldig, während er sie sich ins Gedächtnis rief. “Gesundheit – Wie wa das noch gleich? Es waren drei. – Ja, genau: Drei Dinge braucht der Mensch im Leben: Gesundheit, Glück und Zufriedenheit.”

Zuversichtlich lächelte ich ihm zu. “Dann wünsche ich Ihnen genau das und viel Erfolg.” Er erwiderte mein Lächeln. “Das wünsche ich Ihnen. Vielleicht klappt es ja in Hannover und man trifft sich mal wieder.” “Vielleicht.”, antwortete ich und trat aus dem kleinen Laden wieder hinaus auf die Promenade.

Der Xylophonspieler war nicht mehr da und so ging ich mit meinen extra gewechselten Kleingeld und ohne Spende zurück. Zum Bahnhof. Zum Zug. Zurück in den Alltag.

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