Weggelaufen

“Fleckie!” Die etwas krächzende Stimme einer Frau durchbrach unsere sorgenfreie Unterhaltung. Während er weiterhin auf das Objekt seiner Begierde starrte und es mit seiner Kamera bedrohte, sah ich mich um. “Fleckie, komm sofort zurück!” Ich ging ein paar Schritte weiter, bis ich in die Seitenstraße blicken konnte, aus der die Stimme kam. Ein kleiner Hund lief auf mich zu. Flink und neugierig lief er an mir vorbei. Unsicher sah ich dem Hund hinter er. Es war die übliche Unsicherheit, die mich noch immer jedes Mal befällt, wenn ich mit einem Hund in Berührung komme. Ich erinnere mich nicht an den Schmerz, doch jenes Ereignis in der Kindergartenzeit hatte mir Respekt gelehrt. Und das war es, was ich ihnen entgegenbrachte, wenn ich die auf die äußerste Seite des Bürgersteigs auswich, sobald ich einen sah. Einen Hund.

Während der Hund munter weiter lief, griff er die Unterhaltung wieder auf und riss mich aus meinen Gedanken. Noch immer versuchte er es zu finden. Das ideale Bild, den idealen Winkel, um sein Foto zu schießen. Ich gab ihm eine kurze Antwort. “Fleckie! Wo bist du denn?” Ich sah mich um, der Hund war verschwunden. “Armer Hund”, schlich sich seine Stimme wieder in meine Gedanken, als ich die schlürfenden Schritte der alten Lady hörte. “Arme Frau”, entgegnete ich stattdessen. “Haben Sie meinen Hund gesehen?” Fragte ihre zittrige Stimme. “Nein, aber er ist hier vorbeigelaufen.” Ich verfluchte mich, dass ich mich hab ablenken lassen und nicht aufgepasst hatte, wohin er gelaufen war. Hilfesuchend drehte ich mich um. “Weißt du, wo er lang gelaufen ist?” “Ich glaube hier rein.” Er deutete auf die Seitenstraße, das Foto schien für den Moment vergessen. Mit zügigen Schritten lief ich voraus, in der Hoffnung, die Lady zu entlasten. “Ich kann ihn nicht sehen, vielleicht läuft er einmal herum?” Sie nickte. “Dann gehe ich noch einmal zurück.” Ihre Schritte wieder in die Seitenstraße richtend, aus der sie gekommen war, rief sie erneut: “Fleckie!” Als ich den Blick von ihr abwandte, sah ich ihn schließlich. Aus der entgegengesetzten Richtung stürmte er auf uns zu.

“Er ist hier!” “Fleckie, da bist du ja! Ich darf ihn einfach nicht von der Leine nehmen.”, erklärte sie mir. Doch der Hund blieb nicht bei seiner Herren. Meine Scheu überwindend versuchte ich ihn zu mir zu locken, um seinem Frauchen ein wenig Zeit zu verschaffen. Doch er war so lebendig, so neugierig, er blieb nicht stehen. Als sie schließlich da war, gelang es ihr, ihn am Halsband zu packen. “Könnten Sie mir mit der Leine helfen? Ich sehe das immer so schlecht und er hält ja auch nie still.” Bereitwillig nahm ich die Leine in die Hand und schloss den Verschluss um den am Halsband dafür vorgesehenen RIng.

“Ich danke Ihnen.” “Nichts zu danken. Ich wünsche Ihnen frohe Feiertage.” “Die wünsche ich Ihnen auch und bleiben Sie gesund.” “Danke, Sie ebenso.” Langsam entfernten sich ihre Schritte erneut und ich sah ihr für einen Moment lang nach. Das wunderbare Gefühl, etwas Gutes getan zu haben, machte sich in meinem Bauch breit.

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