Alltagsgeschichten

Kleines Mädchen

…sind nicht immer alltäglich.

Was tut ihr, wenn euch ein fremder Mensch anspricht und um Hilfe bittet? Was tut ihr, wenn ein Kind allein weinend an der Straße steht? Wie verhaltet ihr euch? Soetwas kann man wahrscheinlich schwer sagen und doch, will ich hier eine kleine Geschichte erzählen, die sich am vergangenen Donnerstag ereignet hat.

Es war Donnerstag, der 06. März 2008. Ich hatte meinen Nachhilfekurs beendet und war nun auf dem Weg zu meinem Auto, dass ich an der Hauptstraße, abseits der Innenstadt abgestellt hatte. Hastigen Schrittes eilte ich an unbekannten Gesichtern vorbei, so, wie sie auch an mir vorbeieilten. Die Innenstadt ist an Nachmittagen nie leer. Da sind immer Menschen wie ich, die gefangen in ihrem Alltagsleben ihre Wege suchen, und Menschen, die in Ruhe die Wege entlang schlendern. “Touristen”, denk ich mir. Man findet sie immer vermehrt in der Innenstadt.

Schließlich liegt sie hinter mir, die große Kreuzung naht. Die Ampel ist grün – und ich schaffe es über die Straße, ohne warten zu müssen. Gut so, denn ich habe keine Zeit. In der Hochschule wartet noch Arbeit auf mich und ist die erledigt, wartet zu Hause weitere Arbeit. Jede Minute ist kostbar und sollte nicht verschwendet werden.

Ich gehe die Straße entlang, das Gewicht auf meinem Rucksack drückt mir auf den Rücken. Ich hätte das Trinken auspacken sollen. Doch dafür war keine Zeit geblieben. Ich ärgere mich, dass ich schonwieder soweit hinten geparkt habe und nun weiter laufen muss, doch ich mag es nicht, mich in Parklücken zu drängeln.

Schließlich fällt mein Blick auf ein kleines Mädchen, was da auf dem Fußweg steht und in meine Richtung sieht. Sie hat einen schwarzen Kasten in der Hand. Die Musikschule, ich erinnere mich, sie steht vor der Musikschule. Als ich näher komme, kann ich ihr Gesicht erkennen. Sie sieht nicht glücklich aus, eher verstört und zutiefst betrübt. Ich weiß nicht, was mir ihr ist, es geht mich auch nichts an, und doch tut sie mir Leid.

Ein Lächeln soll Menschen aufheitern können, hat mir mal eine Freundin erzählt. Aufheiterung, ja, das braucht sie vielleicht. Und ich schenke ihr ein Lächeln. Etwas irritiert schaut sie mich an, doch ich lasse das Lächeln nicht von meinen Lippen weichen und gehe weiter. Weiter in Richtung meines Autos, weiter auf sie zu.

Als ich schließlich an ihr vorbeilaufen will, hält sie plötzlich meinen Arm fest. “Du darfst nicht gehen!” Verwirrt schaue ich sie an. Sie ist vielleicht 7 Jahre alt. Ich schaue ihr in die Augen und sehe ihre Verzweiflung. “Warum darf ich nicht gehen? Was ist denn los?”, frage ich sie mit ruhiger Stimme. “Mama ist weg.”, sagt sie da. “Der Raum ist abgeschlossen und Mama ist schon weg.” ich stutze. Mein erster Gedanke war gewesen, dass ihre Mutter sie noch nicht abgeholt hatte, doch es schien genau umgekehrt. Plötzlich starrt sie in Richtung der Stadt. “Da ist Mama!”, schreit sie und läuft los. Erschrocken schaue ich ihr nach. Doch nach vielleicht 10 Metern verlangsamt sich ihr Schritt. “Das ist doch nicht Mama.” Weinend kommt sie zurück.

Nungut, in der Musikschule wird schon jemand sein, der helfen kann, denke ich mir. Einfach stehen lassen, kann ich sie nicht, wer weiß, ob sie dann nicht auf die Idee kommt, einfach loszulaufen. “Komm, wir gehen mal rein und schauen, ob da nicht doch jemand ist.”, sage ich zu ihr, lege ihr die Hand auf den Rücken und führe sie zur Tür. “Nein, da ist niemand. Der Raum ist abgeschlossen.” “Wie lange hättest du denn Unterricht gehabt?”, frage ich, um zu erfahren, wann denn wieder mit ihrer Mutter zu rechnen sei. “Na bis Mama kommt.”

Als wir im Gebäude sind, schaue ich mich erstmal um. Das Haus ist nicht sehr groß. Auf der rechten Seite scheint ein Raum zu sein und geradeaus kommt man tiefer hinein. Das Mädchen jammert noch immer, als es mir plötzlich auffällt: “Da spielt jemand Musik, hörst du? Also ist hier auch jemand.” Mit ihr an meiner Seite gehe ich auf den rechts liegenden Raum zu und öffne vorsichtig die Tür. “Kennst du da jemanden?”, frage ich sie. Sie stellt sich in den Spalt, den ich geöffnet habe und guckt hoffnungsvoll hinein. Doch sie scheint niemanden zu erkennen und es wirkt wie eine Orchesterprobe. Also ziehe ich sie zurück und schließe die Tür. “Wir warten, bis sie fertig sind.”

Doch noch bevor die Musik hinter der Tür verstummt, kommt eine Frau mit ihrem Sohn herein. Sie läuft weiter in den hinteren Part des Hauses. Ich beschließe also, dort mein Glück zu versuchen. Das Mädchen wirkt wieder sehr bedrückt, also versuche ich sie etwas abzulenken und fragte: “Was spielst du denn für ein Instrument?” – “Geige.” Sie schnüft ein paar Mal. Hinter dem Durchgang liegt eine Treppe, die in die nächste Etage führt. Dort geht auch die Mutter mit ihrem Sohn hoch und ich folge ihr. Nach der ersten Treppe sehe ich eine junge Frau aus einem Raum kommen. Sie wirkt auf mich, also gehöre sie zur Musikschule. Also spreche ich sie an: “Entschuldigen Sie, wo ist denn der Geigenunterricht?” – “Bei wem denn?”, fragt sie mich. Da ich keine Antwort weiß, schaue ich das Mädchen an “Bei wem hast du denn Geigenunterricht?” “Bei Frau Gratz.” Die junge Frau erkannte den Namen offensichtlich, denn sie meinte: “Die ist heute krank. Der Unterricht fällt aus. ” “Gibt es denn eine Möglichkeit, wo sie so lange bleiben kann? Ihre Mutter ist schon weggefahren.”, frage ich da und deute auf das Mädchen. “Mh.”, sie überlegte. “Habt ihr denn eine Handynummer?” Auch darauf hatte ich natürlich keine Antwort und sage “Ich weiß nicht, ich kenne sie nicht.” Und wieder schaue ich das Mädchen an “Hast du die Handynummer deiner Mutter?” “Nein”, sagte sie und schüttelte den Kopf. “Aber ich hab die Vorwahl und die Nummer von zu Hause.” Jetzt wirkt sie tapfer, nciht mehr verzweifelt. “Papa ist zu Hause.” “Na das ist doch schonmal was.”, sagt die junge Frau und lächelt das Mädchen an. “Dann gehen wir jetzt telefonieren.” Wie ich zuvor, legt sie dem Mädchen die Hand auf den Rücken und führt sie den Gang entlang, wohl zu einem Raum, in dem ein Telefon ist…

Es sieht so aus, als würde nun alles wieder gut werden und ich nicht weiter gebraucht, also drehe ich mich um und verlasse das Gebäude, um zu meinem Auto zu gehen. Zu meinem Auto und zur Hochschule, zurück zu der Arbeit, die dort wartet und zurück zum Alltag.

Es war schon irgendwie ein komisches Gefühl. Wenn überhaupt, wird das Mädchen später nur sagen können “Da war ein Mädchen.”, denn so wenig wie ich ihren Name kenne, kennt sie meinen. Aber es fühlte sich unbeschreiblich gut an.

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