Entgegen meiner Pläne war ich auch die letzten Wochen wieder ruhig. Doch diese Ruhe habe ich gebraucht – und werde sie wohl auch noch etwas brauchen.
Am Freitag, 21. November fuhren wir nach Wittstock zu meiner Familie. Mein Opa lag schon länger im Krankenhaus und mein Papa hatte angerufen. “Es wäre gut, wenn ihr kommt.” Zufällig hatte ich an dem Freitag Urlaub und mein Schatz hatte auch frei, sodass wir uns am Freitagmorgen ins Auto setzten und los fuhren.
Am Freitag fuhren wir zusammen mit Oma ins Krankenhaus. Opa wirkte noch recht fit und mit Hilfe einer Schwester durfte er sich aufsetzen. Da er trotz Hörgerät nur schwer hörte, blieben lange Unterhaltungen aus, doch ich beobachtete mit einem Schmunzeln, wie meine Oma ihren Mann “betuttelte” und sie sich liebkosten – und mein Opa wie ein kleiner Junge daneben saß. Obwohl er erschöpft wirkte, hatte er dieses schelmische Grinsen auf den Lippen und zwinkerte mir zu, wenn es Oma doch etwas übertrieb. Alles in allem ein schöner Moment, der zeigt, wie es ist, wenn man schon so lange zusammen lebt. Immerhin hatten sie dieses Jahr ihren 63. Hochzeitstag.
Am Folgetag fuhren wir wieder ins Krankenhaus. Diesmal war auch mein Bruder mit dabei. Opa ging es nicht ganz so gut. Er hatte die Nacht nicht gut geschlafen und war scheinbar nach dem Essen eingedöst. Unser Besuch hatte ihn nun wieder geweckt. Mit etwas Widerwillen, ließ er sich wieder aufsetzen und ließ die Beine baumeln. Wie schon am Vortag gab es nicht allzu viel zu besprechen. Mein Bruder hatte ihm eine Kugel Eis aus der Krankenhaus-Kantine mitgebracht, die mein Opa glückselig löffelte. Mein Schatz und ich verabschiedeten uns und meinten, wir wollten am Sonntag früh fahren. Wir würden uns dann ja zu Weihnachten sehen.
Am Abend, als wir dann zu Bett gingen, überkam es mich plötzlich. Ich hatte dieses komische Gefühl, Tränen flossen und ich begann verzweifelt an zu weinen. Ich hatte dieses Gefühl, dass ich meinen Opa nicht wieder sehen würde, dass er Weihnachten nicht mehr da sein würde.
Also bat ich meinen Schatz, dass wir am Sonntag etwas später aufbrechen und dafür noch einmal ins Krankenhaus fahren sollten.
Und ich bin so froh, dass wir das getan haben.
Am vergangenen Wochenende (28.11. – 30.11.) war ich dann hier in Hannover bei der Studienstiftung eingespannt. Als Komissionsmitglied war ich mit dafür verantwortlich, die Studenten auszuwählen, die im Sinne der Studienstiftung für ein Stipendium qualifiziert waren.
Am Freitagabend, bevor ich aufbrach, rief mein Dad an. Die Nieren meines Opas hatten versagt. Man würde nun mit einer Dialyse beginnen, doch die Chancen wären nicht gut.
Ich weinte in den Armen meines Schatzes, voller Angst vor dem, was uns da bevor stand. Angst, dass mein Opa schon bald nicht mehr sein würde. Anschließend fuhr er mich zum Stephansstift, wo das Auswahlseminar stattfinden sollte.
Ich schaffte es ganz gut, mich tagsüber zu konzentrieren. Am Samstagabend, als wir wieder über den Akten saßen, hockte mir die Angst jedoch bereits in den Knochen. Mein Papa hatte wieder zwischendurch angerufen, obwohl wir vereinbart hatten, dass ich anrufen würde.
Ich verabschiedete mich für den Abend von den anderen und zog mich zurück auf mein Zimmer. Doch der Anruf gab Entwarnung. Es war noch alles in Ordnung. Der nächste Tag zog an mir vorbei und am frühen Sonntagabend rief ich wieder zu Hause an. Meine Eltern waren gerade auf dem Weg ins Krankenhaus. Ärzte hatten angerufen, dass die Dialyse gescheitert war. Die Organe hatten wieder versagt. Sie wussten nicht, ob er die Nacht noch überstehen würde.
An dem darauf folgenden Montag, dem 01.12. hatte ich Urlaub. Ursprünglich genommen, um mich nach einem Wochenende voll ehrenamtlicher Arbeit ein wenig zu erholen. Das Handy hatte ich die ganze Nacht bei mir, nur für den Fall. Doch bisher war kein Anruf eingetroffen. Mein Schatz brachte für mich mein Fahrrad zur Reparatur. Gegen 09:30 Uhr wagte ich mich schließlich unter die Dusche. Für diesen einen kurzen Moment war noch alles in Ordnung.
Doch als ich aus der Dusche kam, hörte ich das Telefon. Mein Dad war dran. Er hatte schon vorher versucht anzurufen, doch unter der Dusche hatte ich es nicht gehört. Opa war eingeschlafen. Er war fort.
Das Gespräch dauerte nicht lang. Ich setzte mich auf den Stuhl im Arbeitszimmer. Ich fühlte mich leer, verletzlich. Ich spürte, wie sich mein Gesicht zu einer Grimasse verzog, mein Mund wie zu einem Schrei geöffnet, doch irgendwie bekam ich kaum Luft und so blieb ich stumm. Bis ich wimmernd Luft holte. Ich hatte am Vorabend bereits eine Kerze vor einem Foto mit ihm aufgestellt. Unter Tränen zündete ich die Kerze.
Genau das, was er immer gewollt hat. Kein großes Grab. Ein Foto sollten wir für ihn aufstellen und eine Kerze und uns an ihn erinnern.
Während ich die Kerze beobachtete, fasste ich einen Entschluss. Ich suchte die Aufnahmen heraus, die mein Papa mir einst auf DVD gespielt hatte. Weihnachten von 1993 und 94 und andere. Ich kauerte auf dem Sofa und wartete immer wieder darauf, ihn zu sehen. Seine Stimme zu hören. Manchmal lachte ich auf oder schmunzelte. Dann rannen wieder stumme Tränen über mein Gesicht.
Mein Schatz kam schließlich wieder, umarmte mich und schaute mit mir die restlichen Aufnahmen. Das half. Es war gut, an diesem Tag zu Hause zu sein. Nicht, um sich von einem Wochenende zu erholen, sondern um diesen ersten, wirklich tiefen Einschnitt zu verarbeiten. Es würde nie wieder einen Weg zurück geben. Keine Zeit mehr für Fragen, Umarmungen oder anderes.
Das Leben ist eine Reise,
und auf wundersame Weise,
durften wir einen Teil des Weges mit dir gehen,
gemeinsam lachen und mit dir im Leben stehen.
Du hattest es nicht immer leicht,
doch hat deine Kraft so oft gereicht,
Sorgen und Schmerzen hast du gut versteckt.
“Opa geht es immer gut.”, hast du mich oft geneckt.
Doch auch die schönste Reise,
neigt sich einmal dem Ende.
Der Schmerz sitzt tief,
wir haben dich noch immer lieb.
Tränen verklären unseren Blick,
denn es gibt nun kein zurück.
Du wirst in unseren Gedanken immer bei uns sein,
und fühlen wir uns jetzt auch noch so allein;
so sorge dich nicht, wir werden zusammen steh’n,
denn von heute an müssen wir ohne dich im Leben weiter geh’n.
geschrieben am 01.12.2014
(Beitrag ursprünglich geschrieben am 04.12.2014)