Projekt Shortstories 2009 – 1. Ziehung.
Die Sonne stand tief, als Susan die ersten Häuser sah. Ihre Füße waren wund von der gepflasterten Straße, ihre Sohlen geschunden vom heißen Asphalt. Eine Straße, die vor langer Zeit gebaut und seit Jahren nicht mehr genutzt wurde. Die Häuser der Stadt erstreckten sich in riesige Höhen, die nur von den Bergen des Hochlands, von denen ihr Vater früher zu erzählen pflegte, übertroffen werden konnten. Sie wusste, dass es noch ein weiter Weg sein würde und es für sie keinerlei Möglichkeit gab, die schützenden Mauern der Stadt vor Einbruch der Nacht zu erreichen.
Doch hier draußen gab es keinen schützenden Baum, über die Feder erstreckte dürres Gestrüpp, Gräser und vertrocknete Büsche. Eine Laune der Natur, die sich nun langsam zurückholte, was die Menschen ihr über Jahrhunderte hinweg genommen hatten. Das reiche Volk der Stadt wagte schon lange keinen Schritt mehr hinaus. Der Wind war erbarmungslos, das Regenwasser sauer und die Sonne verbrannte jedem die Haut, der es wagte, sie vor ihrem grellen Gesicht zu entblößen. Die Nacht war mindestens ebenso grausam. War es am Tag so heiß, dass einem der Kopf schwirrte, ließ die Kälte der Nacht seinen Opfern die Glieder erfrieren.
Der kühle Hauch der Abenddämmerung ließ sie zittern, als er ihr in die Kleider fuhr. Schmerzlich erinnerte sie sich an die kleine Hütte ihrer Eltern, die zumindest den Wind aussperren konnte. Doch Susan war nicht dumm. Als Kind war sie oft mit ihrem Vater über die Felder gestreift, während dieser sie nach etwas essbarem durchsucht hatte. Er hatte sie gelehrt, wie sie sich auch ohne Hütte einigermaßen schützen konnte.
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